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10. August 2022

Da staunen Verlage

Sebastian Mitter
10. August 2022

Da staunen Verlage

ein Kommentar von Alexander Subat
Prospega - Blog - Da staunen Verlage

War­um Ver­la­ge die Deu­tungs­ho­heit an ihren eige­nen Pro­duk­ten ver­lie­ren – oder schon lan­ge ver­lo­ren haben.

Was für eine Erfolgs­sto­ry: Das Non-Plus-Ultra für die Ange­bots­kom­mu­ni­ka­ti­on. Im Loka­len unge­schla­ge­ne Spit­ze in der Reich­wei­te. Das wirk­sams­te Medi­um für die Bewer­bung der Pro­duk­te von Han­dels­un­ter­neh­men. Das glaub­wür­digs­te Umfeld, das in Medi­en mög­lich ist, mit dem höchs­ten ent­ge­gen­ge­brach­ten Ver­trau­en der Ver­brau­cher und Kunden.

Wovon reden wir? Face­book? Tik­Tok? Goog­le? Oder gar dem nächs­ten „hei­ßen Ding“ aus der digi­ta­len Welt?

Erstaun­li­cher­wei­se reden wir hier von der guten alten Gat­tung „Print“. In vie­len aktu­el­len Stu­di­en sind die­se her­vor­ra­gen­den Leis­tungs­wer­te doku­men­tiert. War­um den­ken wir bei sol­chen Super­la­ti­ven aber sofort an digi­ta­le Ange­bo­te und Platt­for­men? Schau­en wir mal genau­er hin.

Gel(i)ebte Tradition

Seit über 20 Jah­ren beglei­tet die Ver­lags­bran­che den Auf­stieg der digi­ta­len Welt. Anfangs belä­chelnd, dann grü­belnd, inzwi­schen eher im Panik­mo­dus. Die Fra­ge, die sich stellt: was hat sich in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren in den Ver­la­gen geän­dert, um sich die­ser Ent­wick­lung ent­ge­gen­zu­stel­len und für die Kun­den ein bes­se­res, moder­ne­res, wett­be­werbs­fä­hi­ges Ange­bot auf die Bei­ne zu stel­len. Ein Ange­bot, das die tra­di­tio­nel­le Stär­ke der Ver­la­ge mit den neu­en Mög­lich­kei­ten der digi­ta­len Welt und dem ver­än­der­ten Bedarf der Kun­den ver­bin­det? Wie immer sind es die Gro­ßen der Bran­che, die eine Vor­rei­ter­rol­le ein­neh­men. Dem nor­we­gi­schen Medi­en­kon­zern Schib­sted ist es bereits in den 1990er Jah­ren gelun­gen, sei­ne zahl­rei­chen regio­na­len und über­re­gio­na­len Tages­zei­tun­gen in die neue Zeit zu über­füh­ren und im Ver­bund mit wei­te­ren mul­ti­me­dia­len Ange­bo­ten einen wesent­lich höhe­ren Nut­zen für des­sen Kun­den zu gene­rie­ren. „Empowe­ring peo­p­le in their dai­ly lives“ – der Slo­gan von Schib­sted ist inzwi­schen mehr als ein Ver­spre­chen. Auch in der Schweiz gibt es mit „20 Minu­ten“ (übri­gens auch von Schib­sted gegrün­det, inzwi­schen vom Schwei­zer Medi­en­un­ter­neh­men Tame­dia über­nom­men) seit 1999 ein vor allem bei einer jun­gen Ziel­grup­pe hoch­erfolg­rei­che und kos­ten­lo­se Zei­tung, inklu­si­ve Online-Aus­ga­be und mobi­le App. Der Ver­such, „20 Minu­ten“ auch in Deutsch­land zu eta­blie­ren, ist hin­ge­gen fehl­ge­schla­gen. Hier­zu­lan­de hat es im Grund nur der Sprin­ger-Kon­zern geschafft, sein Print-Impe­ri­um sinn­voll und gewinn­brin­gend ins Digi­ta­le zu erwei­tern – wenn auch häu­fig durch Zukäufe.

Ticken die Uhren in Deutsch­land also anders? Was die Struk­tur der deut­schen Zei­tungs­land­schaft sicher­lich ja. Mit 300 loka­len und regio­na­len Tages­zei­tun­gen und 900 kos­ten­lo­sen Anzei­gen­blät­tern haben wir eine ein­zig­ar­tig klein­tei­li­ge Land­schaft, die sich durch Ver­lags­zu­sam­men­schlüs­se und ‑über­nah­men zwar kon­ti­nu­ier­lich kon­so­li­diert, aber immer noch eine gro­ße Viel­falt auf­weist. Nicht jeder Ver­lag hat auf­grund sei­ner Grö­ße die Mög­lich­kei­ten eines Sprin­ger-Kon­zerns oder von Schib­sted. Doch nach wie vor spielt jeder Ver­lag mit sei­nen Zei­tun­gen – print oder online – im Loka­len eine tra­gen­de Rol­le. Und das sowohl wirt­schaft­lich als auch gesell­schaft­lich. Da hat sich in den letz­ten 20 Jah­ren nicht viel geän­dert. Die Ver­la­ge bie­ten mit ihren Print- und Digi­tal-Pro­duk­ten den detail­lier­tes­ten und objek­tivs­ten Blick auf das loka­le Gesche­hen. In die­ser Funk­ti­on sind sie nach wie vor ein­zig­ar­tig und erfül­len neben­bei eine wich­ti­ge demo­kra­ti­sche Aufgabe.

Der Abgesang einer Branche?

Es fällt auf, dass in der Wahr­neh­mung der Ent­wick­lungs­ge­schwin­dig­keit der Geschäfts­mo­del­le ein extre­mer Unter­schied zwi­schen der Ver­lags­welt und der digi­ta­len Bran­che besteht. Für Ver­lags­ver­hält­nis­se wur­de in den letz­ten Jah­ren gute Arbeit geleis­tet. Die Inves­ti­ti­on in digi­ta­le Pro­duk­te und in neue Geschäfts­mo­del­le zahlt sich zuneh­mend aus. Die Inno­va­ti­ons­kraft der Ver­la­ge hat ein­deu­tig zuge­nom­men und ist vor allem auch vie­ler­orts durch pro­fes­sio­nel­les Inno­va­ti­ons­ma­nage­ment gepusht wor­den. Schaut man hin­ge­gen auf die Geschwin­dig­keit in der digi­ta­len Welt, kann die Ver­lags­bran­che schon lan­ge nicht mehr mit­hal­ten. Hat­te man frü­her den Wett­be­werb gut gekannt und immer gut im Blick, zieht die­ser inzwi­schen an den Ver­la­gen vor­bei, bevor die­ser über­haupt als Wett­be­werb iden­ti­fi­ziert wird.

Das erstaun­lichs­te ist eine gewis­se Sprach­lo­sig­keit der Ver­la­ge. Es ent­wi­ckeln sich Nar­ra­ti­ve, die weit­ge­hend unkom­men­tiert blei­ben: Alles Digi­ta­le ist neu, fas­zi­nie­rend, erfolg­reich. Print ist alt, ver­staubt und teu­er. Und die­ses Nar­ra­tiv ist inzwi­schen weit­ge­hend gesell­schaft­li­ches All­ge­mein­gut. Aber was ist denn mit der ein­gangs erwähn­ten Erfolgs­sto­ry? Trifft die denn nicht mehr zu? Oder anders gefragt: Wie inten­siv nut­zen Ver­la­ge die Reich­wei­te in ihren eige­nen Pro­duk­ten, um die­se Stär­ke aktiv und nach­hal­tig zu kom­mu­ni­zie­ren? Offen­sicht­lich ist das bis­her stark ver­nach­läs­sigt wor­den, denn bei der Ziel­grup­pe (Lesern und Wer­be­kun­den) ver­fängt das nicht (mehr). Mir drängt sich eher der Ein­druck auf, dass die Bran­che genüss­lich in ihren eige­nen Abge­sang mit einstimmt.

Sind denn die Argumente der Digital-Branche besser?

Sobald sich die Ver­la­ge in das Argu­men­ta­ti­ons-Gefecht mit Digi­tal bege­ben, zie­hen sie zwangs­läu­fig den Kür­ze­ren. So groß­ar­tig man­che digi­ta­len Pro­duk­te der Ver­la­ge sind – unterm Strich müs­sen sie immer die Fra­ge beant­wor­ten kön­nen: „Was kann unse­re Lösung, was Goog­le, Face­book und Co. nicht auch schon kön­nen?“ In der Tat fällt es schwer, eine schlüs­si­ge und über­zeu­gen­de Argu­men­ta­ti­on auf­zu­bau­en, wenn Goog­le und Co. mitt­ler­wei­le behaup­ten, auch redak­tio­nell das Loka­le zu beherr­schen. Aber hier gilt nach wie vor: der Platz­hirsch ist der loka­le Ver­lag. Die­ser ist mit Redak­ti­on, Ser­vice, Media­be­ra­tung und vie­lem mehr vor Ort, ist greif­bar, ansprech­bar und nimmt auch jeder­zeit Mei­nun­gen und auch Beschwer­den an. Haben Sie im Ãœbri­gen schon ein­mal pro­biert, bei Face­book oder Goog­le eine Beschwer­de zu plat­zie­ren? Spä­tes­tens dann mer­ken Sie, wie weit weg die­se Unter­neh­men sind.

War­um sich dann also nicht auf die eige­nen Stär­ken kon­zen­trie­ren und die­se auch aktiv kom­mu­ni­zie­ren? Wenn REWE ankün­digt, ab Mit­te 2023 kom­plett auf Hand­zet­tel in der Ver­tei­lung – eine der wich­tigs­ten und umsatz­stärks­ten Dienst­leis­tun­gen der Ver­la­ge – zu ver­zich­ten und aus öko­lo­gi­schen Grün­den auf digi­ta­le Wer­bung umzu­stel­len, berich­ten die Ver­la­ge in ihren Zei­tun­gen aus­führ­lich dar­über. War­um wird nicht – auch im eige­nen Inter­es­se – der öko­lo­gi­sche Aspekt ein­mal hin­ter­fragt und im Sin­ne der jour­na­lis­ti­schen Recher­che ein Blick auf den Sach­ver­halt gewor­fen und die­ser trans­pa­rent gemacht? Jede jour­na­lis­ti­sche Leit­li­nie eines Ver­la­ges böte hier­für ver­mut­lich aus­rei­chend Spiel­raum. Statt­des­sen wird in den Leser- und Wer­be­markt kom­mu­ni­ziert: „Das, was Sie in den Hän­den hal­ten, ist tot, funk­tio­niert nicht mehr und wird aussterben.“

Ein Ein­zel­fall? Bei wei­tem nicht. REWE ist hier nur das jüngs­te Bei­spiel. Es gibt genug bzw. zu vie­le Bei­spie­le, in dem nach dem glei­chen Mus­ter ver­fah­ren wur­de. Es sind also nicht die bes­se­ren Argu­men­te der Digi­tal-Bran­che. Es ist viel­mehr die Hilf­lo­sig­keit vie­ler Ver­la­ge in der Kom­mu­ni­ka­ti­on der eige­nen Stär­ken bzw. in der dif­fe­ren­zier­ten Betrach­tung der ver­meint­li­chen Stär­ken des Wett­be­werbs. War­um das so ist, dem wid­men wir uns bei Gele­gen­heit in einem eige­nen Beitrag.

Ach ja, der Klimaschautz

Digi­tal ver­braucht kein Papier, zer­stört kei­ne Wäl­der, ist nach­hal­ti­ger und grund­sätz­lich öko­lo­gi­scher. Print hin­ge­gen ver­nich­tet wert­vol­le Roh­stof­fe, belas­tet die Umwelt und wirft uns in Fra­gen des Kli­ma­schut­zes mei­len­weit zurück. Wann haben Sie denn in Ihrer Zei­tung das letz­te Mal eine gegen­tei­li­ge Argu­men­ta­ti­on, ein star­kes State­ment für Print gele­sen? Noch nie? Das wun­dert mich nicht, geschieht das doch eher in homöo­pa­thi­schen Dosen unter der Wahr­neh­mungs­gren­ze. Auch hier hat man inzwi­schen schon die Deu­tungs­ho­heit ver­lo­ren. Dabei gäbe es gera­de bei die­sem The­ma viel Gutes zu berich­ten. Ver­gleicht man den öko­lo­gi­schen Fuß­ab­druck der Ver­lags­bran­che mit der digi­ta­len Bran­che zeigt sich ein gegen­tei­li­ges Bild. Der Ener­gie­ver­brauch der digi­ta­len Bran­che ist immens und wird in den nächs­ten Jah­ren noch wei­ter stark anstei­gen. Der CO²-Aus­stoß wird deut­lich zuneh­men. Und bei wei­tem wird der Ener­gie­be­darf der Digi­tal-Bran­che nicht aus rege­ne­ra­ti­ven Quel­len gedeckt. Print hin­ge­gen legt auch hier eine Erfolgs­sto­ry hin. Der Recy­cling-Anteil von Papier hat mit einem Wert von 72 % Rekord­wer­te. Nach­hal­ti­ge Forst­wirt­schaft, aus der das Roh­ma­te­ri­al für die Papier­pro­duk­ti­on stammt, sorgt für kon­ti­nu­ier­li­ches Anwach­sen der Wald­flä­che in Euro­pa – zwi­schen 2005 und 2020 um eine Flä­che grö­ßer als die Schweiz. Und inzwi­schen sind auch vie­le Dru­cke­rei­en kli­ma­neu­tral oder auf dem bes­ten Weg dort­hin. Auch mit die­ser The­ma­tik wer­den wir uns in einem eige­nen Bei­trag aus­führ­li­cher beschäftigen.

Alles zu spät?

Bit­te ver­ste­hen sie mich nicht falsch. Mir ist schon bewusst, dass die Uhr nicht zurück­ge­dreht wer­den kann. Auch auf die Annehm­lich­kei­ten und Mög­lich­kei­ten digi­ta­ler Anwen­dun­gen möch­te ich nicht ver­zich­ten – weder für mich, noch für unse­re Kun­den, denen wir als Pro­s­pe­ga bereits cross­me­dia­le, hybri­de Lösun­gen anbie­ten. Aber die Tat­sa­che, dass ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal, eine Medi­en­gat­tung, eine gan­ze Bran­che mit einer nach wie vor rie­si­gen Reich­wei­te die Deu­tungs­ho­heit über sei­ne eige­nen Pro­duk­te ver­liert, ist mir unver­ständ­lich. Was also tun? Die Fra­ge, ob es zu spät ist, wird sicher­lich davon abhän­gen, inwie­weit man in der Lage ist, sei­ne eige­nen Pro­dukt­vor­tei­le und den ori­gi­nä­ren Kun­den­nut­zen der Ver­lags-Pro­duk­te offen­siv zu kom­mu­ni­zie­ren. Und das selbst­be­wusst und in kla­rer Abgren­zung zur Digi­tal-Bran­che. Fragt sich, ob die Lese­rin­nen, Leser und Kun­den dafür noch bereit sind.

Zum Autor:

Alex­an­der Subat blickt auf über 20-jäh­ri­ge Erfah­rung in der Ver­lags­bran­che zurück – zunächst auf Agen­tur­sei­te für ver­schie­de­ne loka­le und über­re­gio­na­le Ver­la­ge tätig, dann auf Ver­lags­sei­te in ver­schie­de­nen Füh­rungs­auf­ga­ben bis zur Geschäfts­füh­rung von Tages­zei­tungs- und Anzei­gen­blatt­ver­la­gen. Seit 2019 ver­ant­wor­tet er bei der Pro­s­pe­ga GmbH den Bereich Stra­te­gie und Innovation.

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